Platons ‘Argument des Menon’ ist eines der am meisten diskutierten Themen des Men. Bezueglich der Deutungen davon lassen sich grob vier Fragestellungen unterscheiden: Erstens bestimmt Sokrates den Einwand Menons als eristisches Spiel: Trägt Menon seinen Einwand wirklich nicht philosophisch seriös vor, sondern bloß als einen sinnlosen Betrug? Zweitens ergänzt Sokrates mit einer kleinen Variation den Einwand Menons: Inwieweit kann die Wiedergabe des Sokrates dann als eine Fortführung des Einwandes Menons betrachtet werden? Drittens deutet Sokrates durch seine Bestimmung des Einwandes als eristisches Paradox ausdrücklich den logischen Irrtum dieses Einwandes an: Hat Menon selbst seine Rede als Paradox intendiert und die logische Konsequenz seines Einwandes mitbedacht? Viertens leitet Sokrates, nachdem er mit Entschiedenheit auf die Schlechtigkeit von Menons notorischem Sophismus hingewiesen hat, die Anamnesislehre ein: Inwiefern übt das Fehlargument einen fundamentalen Einfluß auf die Entstehung der Anamnesislehre aus? Hat Platon durch die Einfuehrung der Anamnesislehre intendiert, die sokratische Dialektik kritisch zu ueberpruefen und zu ueberwinden? Der vierte Punkt ist das, was wir hier letztlich betrachten wollen. Wenn Platon durch das ‘Argument des Menon’ entscheidend gezwungen waere, die Anamnesislehre einzufuehren, muesste er darin den Kern der rationalen Widerlegung gegen die sokratische Dialektik finden. Gibt es dann einen solchen Kern, den Platon ‘ernsthaft’ behandeln muss, wenn er es fuer ‘eristisch’ ansieht? Wenn ja, wo? Dieser Aufsatz zweckt darauf, durch die innere und aeussere Analyse vom ‘Argument des Menon’ auf diese Fragen im einzelnen zu antworten und somit ein verbindliches Urteil ueber das Verhaeltnis von dem ‘Argument des Menon’ und ferner der sokratischen Dialektik zur Anamnesislehre zu erreichen.